Vincent Kaufmann
Welche beruflichen Pläne hatten Sie während Ihres Studiums? Wussten Sie bereits, dass Sie im Bereich der nachhaltigen Entwicklung arbeiten würden?
Mein BWL-Studium in den 2000er Jahren war geprägt von einigen grossen Finanzskandalen, wie den Konkursen von Swissair und dem amerikanischen Mischkonzern Enron. Die mit diesen Skandalen verbundenen Governance-Probleme haben mich schnell interessiert. Als sich mir die Gelegenheit bot, ein Praktikum bei der Ethos Stiftung zu absolvieren, um die Corporate Governance von Unternehmen im Lichte der neuen Transparenzpflichten der Schweizer Börse zu analysieren, zögerte ich keine Sekunde. Ich schrieb meine Masterarbeit über dieses Thema und erhielt ein Angebot, als Analyst bei der Ethos Stiftung zu arbeiten. Das ist jetzt 20 Jahre her.
Wenn Sie die Finanzmärkte beobachten, was hat sich in den letzten Jahren in Bezug auf die Nachhaltigkeit verändert? In welche Richtung hat sich das besonders entwickelt?
Mit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens im Jahr 2015 und der Forderung, die Finanzströme mit den Bedürfnissen der Energiewende in Einklang zu bringen, haben immer mehr Anleger:innen begonnen, die Nachhaltigkeit bei ihren Finanzanlagen stärker zu berücksichtigen. Dies hat auch die Unternehmen dazu veranlasst, ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen transparenter zu machen. Europa hat schnell gehandelt und bereits 2017 einen umfassenden Aktionsplan für die Finanzmärkte mit spezifischen Regelungen insbesondere zur Transparenz von Unternehmen und Investoren vorgeschlagen. Trotz dieser Bemühungen ist leider festzustellen, dass die Finanzmärkte weiterhin sehr auf kurzfristige Finanzergebnisse fokussiert sind und die Unternehmen mit den ehrgeizigsten Nachhaltigkeitszielen noch zu wenig honorieren.
Nachhaltige Finanzanlagen sind phasenweise rentabler als nicht nachhaltige Anlagen. Im Jahr 2024 hat die Rüstungsindustrie aufgrund der weltweiten geopolitischen Lage leider floriert. Wie kann Nachhaltigkeit in diesem Kontext gefördert werden?
Einige Ausschlusskriterien sind direkt mit finanziellen und nichtfinanziellen Risiken verbunden, wie zum Beispiel der Ausschluss von Kohle, während andere eher mit den Werten der Anleger:innen verbunden sind. Für die Ethos Stiftung ist die Produktion von Waffen in grossem Massstab generell menschenfeindlich und birgt das Risiko einer massiven Zerstörung der natürlichen Umwelt. Obwohl Waffen zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden können, sind ihre Verwendung und ihre Endabnehmer oft schwer zu bestimmen. Es ist Aufgabe des Stiftungsrats, Stellung zum Renditeziel und seinen möglichen negativen Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung zu beziehen.
«Will man die gesamte Wirtschaft beim Übergang begleiten, ist aktives Aktionariat sehr wirksam.»
Die Finanzmärkte sind ein wichtiger Hebel, um die globale Erwärmung einzudämmen. Glauben Sie, dass die Finanzmärkte mittelfristig – das Jahr 2030 steht vor der Tür und 2050 ist auch nicht mehr weit – zu diesem Ziel beitragen werden? Was braucht es noch?
Die Finanzmärkte sind ein idealer Mechanismus, um Finanzströme in Unternehmen, Projekte und Infrastrukturen umzuleiten, die Lösungen für die Klimakrise bieten. Leider bleiben sie meist auf kurzfristige Rentabilität fokussiert. Unternehmen, die Lösungen anbieten, werden nicht ausreichend gefördert und umgekehrt werden Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen das Klima schädigen oder die Menschenrechte nicht respektieren, nicht ausreichend bestraft. EU-Regulierungsinitiativen wie die Taxonomie zielen darauf ab, Unternehmen hervorzuheben, deren Aktivitäten dem Klima förderlich sind und in die bevorzugt investiert werden sollte. Das ist erfreulich, aber nicht ausreichend. Ausserdem sollten die negativen externen Effekte von Unternehmen eine grössere finanzielle Auswirkung haben. Dies würde die Anleger dazu veranlassen, die Finanzströme viel schneller umzuleiten.
Wenn wir als Anlegerin einen grossen Umweltverschmutzer in unserem Portfolio identifizieren, was können wir dann tun? Ist der Ausschluss der richtige Weg?
Das hängt von der Branche und der Aktionärsstruktur ab. Im Allgemeinen kann ein Unternehmen durch aktives Aktionariat beeinflusst werden. Eine Abstimmung an einer Generalversammlung oder eine Dialogkampagne zu einem bestimmten Thema kann oftmals eine Wirkung haben und das Unternehmen dazu bewegen, seine ESG-Praktiken zu verbessern. Aktive Aktionäre haben somit einen konkreten Einfluss auf die Realwirtschaft, während der Ausschluss eines Titels nur Auswirkungen auf das Portfolio hat. Natürlich ist es sehr schwierig, ein Unternehmen zu verändern, dessen Aktivitäten nicht mit den Werten des Investors vereinbar sind. Ein Engagement wird es beispielsweise nicht ermöglichen, einen Akteur zu ändern, der sich der Rüstung widmet. In diesem Fall kann nur der Ausschluss das Portfolio mit den eigenen Werten in Einklang bringen. Durch den Ausschluss kann das Portfolio zwar «gesäubert» werden, aber es ist nicht mehr möglich, als Aktionär Einfluss auf das Unternehmen zu nehmen.
Welche Form der Investition ist im Hinblick auf die Nachhaltigkeit am effektivsten? Ist es das Impact-Investing, zu Deutsch das Wirkungsvolle Investieren?
Ich denke, dass dies von der Anlageklasse und den angestrebten Zielen abhängt. Wenn das Ziel eine Neuausrichtung der Finanzströme auf die tugendhaftesten Unternehmen ist, dann ist das Impact-Investing wahrscheinlich ein guter Weg. Wenn es darum geht, das System grundlegend zu ändern und die gesamte Wirtschaft in den Übergang zu begleiten, dann ist das aktive Aktionariat sehr wirksam.
Wie definieren Sie Greenwashing? Was sind die Risiken und wie kann man Unternehmen erkennen, die es praktizieren?
Greenwashing ist eine Kommunikationsstrategie, die darauf abzielt, die Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung zu übertreiben oder sogar zu verfälschen. Das Ziel ist es, sich ein nachhaltiges Image zu geben, um neue Verbraucher:innen oder Investitionen anzuziehen. In der Welt der nachhaltigen Finanzen besteht das Hauptrisiko in einem Vertrauensverlust und der Diskreditierung einer Bewegung, die mehr denn je notwendig ist, um die globale Erwärmung zu bekämpfen und eine nachhaltigere, integrativere und verantwortungsvollere Wirtschaft aufzubauen. Es gibt auch, glücklicherweise in zunehmendem Masse, regulatorische, rechtliche und damit finanzielle Risiken für Akteure, die des Greenwashing für schuldig befunden werden. Um nicht betrogen zu werden, kann man sich auf offizielle Siegel stützen, die bestimmte Praktiken zertifizieren. Sie können auch Ihren Fondsmanager nach seinem Ansatz und seinen Instrumenten für die Nachhaltigkeit von Investitionen fragen.
Vincent Kaufmann (1980) ist seit Juni 2015 Direktor der Ethos Stiftung und von Ethos Services. Er kam 2004 als Corporate Governance Analyst zu Ethos und arbeitete danach als Senior Analyst und Deputy Head Corporate Governance. Seit Juni 2019 ist er Mitglied des Vorstands von Swiss Sustainable Finance.
Nach einem Master in Betriebswirtschaft an der Universität Genf im Jahr 2004 erwarb Vincent Kaufmann 2009 das eidgenössische Diplom als Experte für Finanzen und Controlling.
Die Ethos Stiftung und ihre Werte
Seit ihrer Gründung 1997 setzt sich die Ethos Stiftung für die Förderung eines verantwortungsvolleren Kapitalismus im langfristigen Interesse der Versicherten von Pensionskassen ein. Ethos spricht sich insbesondere für die Berücksichtigung der nachhaltigen Entwicklung bei den Anlageentscheiden aus, aber auch für die Regeln der guten Unternehmensführung, die oft Hand in Hand gehen.
Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Ressourcen so zu nutzen, dass die Bedürfnisse der heutigen Generationen befriedigt werden, ohne die Bedürfnisse künftiger Generationen zu beeinträchtigen.
Aktionärsrechte und Dialog mit Unternehmen
Ethos arbeitet mit vielen Pensionskassen in der Schweiz zusammen, um ihnen zu ermöglichen, ihre Aktionärsrechte auszuüben und aktive Aktionäre zu sein. Dies umfasst zwei verschiedene Phasen: die Abstimmung an den Generalversammlungen und den Aktionärsdialog. Im Rahmen der Stimmabgabe verfügt Ethos über ein Referenzsystem, dessen Richtlinien jährlich überprüft werden und welches erlaubt, Stimmempfehlungen abzugeben. Diese Empfehlungen werden an die Mitglieder weitergeleitet, die dann entscheiden können, ob sie sie befolgen wollen oder nicht. Für die meisten Mitglieder bestätigt der Stiftungsrat jährlich den Referenzrahmen als mit den Interessen der Vorsorgeeinrichtung übereinstimmend, so dass die Mitglieder ihre Stimmrechte an Ethos delegieren können.
Im Rahmen des Aktionärsdialogs hat Ethos einen Pool von Pensionskassen geschaffen, welcher jährlich die vorrangigen Themen für den Dialog mit den in den Portfolios enthaltenen Unternehmen bestätigen. Die wichtigsten Themen sind derzeit der Klimawandel, die gute Unternehmensführung, die Begrenzung exzessiver Vergütungen, die digitale Verantwortung und Achtung der Menschenrechte. Ethos führt dann einen Dialog mit den Unternehmen. Der Dialog kann direkt und individuell oder als Gruppe von mehreren Anlegern im Rahmen einer kollektiven Initiative geführt werden. Die Tatsache, dass sich die Einrichtungen im Pool zusammenschliessen, erhöht die Wirkung und Glaubwürdigkeit von Ethos. Wenn der Dialog blockiert ist, kann es sinnvoll sein, seine Stimmrechte engagierter zu nutzen oder einen Punkt auf der Traktandenliste einer Generalversammlung zu setzen.
Die von der Ethos-Plattform eingesetzte Methode fürs ESG-Screening
Ethos analysiert zusammen mit ihrem Partner Sustainometrics die Nachhaltigkeit von über 3000 nationalen und internationalen Emittenten. Für jeden Emittenten werden rund 100 Kriterien aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) analysiert. Parallel dazu bestimmt Ethos, ob das Unternehmen in sensiblen Sektoren tätig ist (Negative Screening) oder ob es Aktivitäten mit positiven sozialen oder ökologischen Auswirkungen ausübt. Schliesslich erfasst und analysiert Ethos die verschiedenen ESG-Kontroversen, die ein Unternehmen betreffen. Auf der Grundlage dieser Informationen wird jedem Unternehmen ein ESG-Rating zugewiesen. Dies ermöglicht Ethos, die ESG-Risiken des Portfolios zu bestimmen, ein nachhaltiges Anlageuniversum zu definieren, aber auch unverzichtbare Informationen zu erhalten, welche Ethos im Rahmen ihrer Dialogaktivitäten mit den Unternehmen nutzt.
Erforderliche Inhalte für einen Nachhaltigkeitsbericht
Ethos hat eine Reihe von Kriterien aufgestellt, anhand derer ein an der Generalversammlung vorgelegter Nachhaltigkeitsbericht genehmigt oder abgelehnt werden kann. Ohne hier auf alle Kriterien einzugehen, die in den Abstimmungsrichtlinien von Ethos enthalten sind; für Ethos ist es entscheidend, dass ein Nachhaltigkeitsbericht alle für das Unternehmen relevanten ESG-Themen abdeckt und dass quantitative Indikatoren für diese Themen veröffentlicht werden. Vor allen Dingen sollte das Unternehmen sich ehrgeizige Ziele zur Verbesserung seiner Praktiken setzen. Für börsennotierte Unternehmen ist es ausserdem erforderlich, dass diese Berichte nach einem bestimmten international anerkannten Standard erstellt werden, um einen Vergleich zu ermöglichen, und dass sie, wie bereits die Finanzergebnisse, von einer unabhängigen dritten Stelle überprüft werden. Transparenz, Relevanz und Qualität der veröffentlichten Indikatoren sind unerlässlich, wenn Anleger:innen die nichtfinanzielle Leistung von Unternehmen bewerten und Kapital in eine nachhaltigere Wirtschaft umleiten sollen.
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